Alpenüberquerung / DE – AT – IT / 2017


 

Prolog

Ein Montag Morgen im September 2017, die Luft ist klar, angenehm kühl und frisch, ohne wirklich kalt zu sein. Stellenweise zeigen sich Nebelfelder, Vorboten auf einen sonnigen Herbsttag. Vorhergesagt war miserables Wetter, wie es zu diesem verregneten Sommer gepasst hätte. Stattdessen ein bilderbuchmäßiger Tagesanbruch. Bereits hier beginnt für uns das, was man im Volksmund wohl eine Glückssträhne nennen würde. Und diese sollte uns für die nächsten 7 Tage nicht mehr verlassen.

Es ist genau 05:00 Uhr als wir unsere Rucksäcke in einem deutschen Mittelklassekombi verstauen und Mike das Vehikel Richtung Süden – zum Start unserer Alpenüberquerung – nach Oberstdorf steuert. Steuern liegt Mike im Blut. Auf unseren Etappen steuerte er uns immer zuverlässig in die nächstgelegene Wirtschaft zum wohlverdienten Mittagsruss. Jüne, der Hannibal des 4-köpfigen Alpin-Teams, hatte die Etappen und Nachtlager vorab zusammengestellt und eine nie zuvor gelaufene Doppeletappe erdacht, die später einmal seinen Namen tragen würde. Komplett wird die Mannschaft mit Dominik, der eine liebevolle Mensch-Maschine-Beziehung zu seiner Drohne pflegt und diese hin und wieder aus seiner väterlichen Obhut in schwindelerregende Höhen entließ.

Einen riesigen Dank an Euch drei. Es war mir eine Ehre mit Euch zu laufen. Strapazen. Heiterkeit. Wanderlust. Abenteuer. Unbedingter Erfolgs- und Überlebenswillen. Und natürlich Glück.

10:50 Uhr Ankunft Oberstdorf. Los geht’s. Berg frei!
 

Tag 1: Oberstdorf – Kemptner Hütte (1050m ↑, 20m ↓)

Endlich hat jeder von uns 10-15 Kilogramm auf Hüfte und Schultern verteilt, die Wanderstiefel an den Füßen und Bergluft um die Nase. “Oberstdorf mach’s gut, bis in einer Woche.” Keine 10 Minuten später sitzen wir im Trettachstüble bei Weizenbier und Orangensaft. Hut ab. Die Pause haben wir uns verdient. Aber auch den unerfahrensten Alpinisten ist natürlich klar, dass es ohne Wanderbenzin im Tank schwierig werden würde, ein solches Unterfangen wie es vor uns lag, erfolgreich zu bestehen. Fast schon unverschämt scheint uns überdies die Sonne aufs Gemüt und lässt die Vorfreude auf das Kommende stetig steigen.

Jüne weiht uns in die erste Etappe ein. Etwa 4 Stunden liegen vor uns und ca. 1031 Höhenmeter trennen uns vom ersten Ziel: der Kemptner Hütte (1844m).

Wir verlassen die Lokalität und kurz darauf Oberstdorf in südlicher Richtung. Die Strecke führt entlang der Trettach durch das Trettachtal. Gelegentlich trifft man andere Wandersleute. Überlaufen ist es aber nicht. Einerseits dürfte das an der (glücklicherweise falschen) schlechten Wetterprognose gelegen haben, andererseits daran, dass wir an einem Montag in der Nebensaison gestartet sind. Wer es etwas ruhiger mag, sollte in jedem Fall unter der Woche aufbrechen. Zwar starten auch montags noch einige Bergschulen, aber das Gros dürfte samstags und sonntags die Schuhe schnüren.
 

Kurz nach dem Start. Wir sind guter Dinge und frohen Mutes. Von links: Mike, ich, Jüne, Dominik (Foto: unbekannter Wandersmann).

 

Die Etappe startet flach und idyllisch. Ein Spaziergang. So oder so ähnlich hatten sich Mike, Dominik und ich wohl die gesamte Alpenüberquerung in unseren Träumen ausgemalt. Doch die Realität sollte uns noch am gleichen Tag einholen. Jüne dürfte sich ob unserer Naivität eins ins Fäustchen gelacht haben. In jedem Fall ist dieser Streckenabschnitt ein guter Warmupper für die Alpenüberquerung und eignet sich gut für die Feinjustage und Optimierung des Wanderequipments. Ich nutze die Gelegenheit des flachen Kurses außerdem, um meine Weggefährten mit meinem Fachwissen über die Entstehung der Alpen zu beeindrucken, halte mein geowissenschaftliches Seminar aber so kurz wie möglich.
 

Auf dem Weg zur Kemptner Hütte (Foto: D.Fischer).

 

Nach etwa 1,5 – 2 Stunden erreichen wir Spielmannsau (986m). Und natürlich lassen wir den Berggasthof Spielmannsau nicht links liegen. Flüssiges, Zünftiges, Herzhaftes wird bestellt und dient als Energielieferant für unsere Waden.

Wir verlassen den Berggasthof und laufen noch ein wenig bei flachem Kurs das Trettachtal entlang. Dann beginnt der Aufstieg. Okay now we’re talking! Jetzt beginnen die Städter zu verstehen was abgeht. Nach wenigen Minuten zeigt meine Suunto-Uhr zum ersten Mal 1000 Höhenmeter an. Halt, Stop, Schnaps. Jünes Flachmann liefert eine leckere Marille.

Der Aufstieg zur Kemptner Hütte dauert etwa 2 – 2,5 Stunden. In dieser Zeit reift die Erkenntnis: Wandern ist Sport. Kleidungstechnisch empfiehlt sich das Zwiebelprinzip. Man schwitzt doch ganz ordentlich beim Laufen, kühlt aber schnell ab, sobald man eine kurze Verschnaufpause einlegt.

Während des Aufstiegs trifft man hin und wieder Absteiger, die einen mit Sätzen wie: “…noch 10 Minuten, dann habt ihr es geschafft” motivieren wollen. Hierbei handelt es sich offensichtlich um gut gemeinte Lügen oder es ist reine Boshaftigkeit.

Doch dann ist es tatsächlich geschafft. Die Kemptner Hütte erscheint am Firmament. Wir beziehen unser Matratzenlager unterm Dach. Geschätzt haben hier weitere 40 Männer und Frauen ihren Hüttenschlafsack ausgerollt. Auf der Hütte geht es zu wie auf einem Bahnhof. Hektik, Stress, Lautstärke. Aber erstmal ist das egal und dieses Szenario sollte sich in den kommenden Tagen auch nicht wiederholen. Man freut sich nun auf eine heiße Dusche. Wenn… ja wenn da nur nicht viel daran gefehlt hätte, dass Eiswürfel aus dem Duschkopf purzeln. Um es mit den Worten eines meiner damaligen Dozenten zu sagen: „Warmes Wasser no have“. Aber wir kneifen die Arschbacken zusammen und versuchen uns die ca. 5 Grad Celsius nicht anmerken zu lassen. Wir sind schließlich echte Naturburschen.

Nach der Dusche dann die zweite warme Mahlzeit des Tages. Wir reden uns ein, dass wir uns das leisten können, wo wir doch den halben Tag gelaufen sind. Dann ein paar kleine und größere Getränke mit Lustigmacher und es entsteht die Alpenpoesie. Der Tag endet mit der Bekanntschaft von Kerstin und Claudia, die uns die nächsten Tage immer mal wieder begegnen sollten.
 

Tag 2: Kemptner Hütte – Württemberger Haus (1450m ↑, 1200m ↓)

06:00 Uhr. In den Bergen fängt der frühe Vogel den Wurm, bzw. startet man besser vor den eher gemächlich laufenden Bergschulen, da man auf den Wanderpfaden in der Regel schlecht überholen kann. Wie sich noch herausstellen sollte erwartet uns an diesem Tag die wohl abenteuerlichste und schönste Etappe und zur Krönung die rundum beste Hütte der Woche.

Der Tag beginnt allerdings mit ein paar Downern. Das Frühstück zu knapp 8€ besteht aus 2 Scheiben Graubrot, einem Kleks Marmelade und Butter, sowie einer mäßig schmeckenden Tasse Kaffee. Das drückt die Stimmung und wird nicht lange vorhalten. Was soll’s. Ab in den Trockenraum und rein in die mollig warmen Stiefel. Nope. Au contraire. Stiefel, Socken und Shirt genauso feucht wie am Abend zuvor. Der Trockenraum war also eher ein… ähm… Raum. Nungut. Alle sieben Sachen beisammen und ab dafür. Wetter: dicke Suppe vom Feinsten und Regen bis kurz vor Mittag. Dies sollte allerdings der einzige ernste Regenabschnitt auf unserer Tour werden. Gut dass immerhin zwei von vier Regenjacken imprägniert waren. Somit konnte der Niederschlag an diesem Vormittag zumindest die Laune von Jüne und mir nicht trüben.

Überraschend an diesem Morgen war, dass sich keinerlei Muskelkater bei uns bemerkbar machte. Ein Hoch auf die Pferdesalbe. Teufelszeug.

Die Etappe beginnt mit einem kurzen Aufstieg zum Mädelejoch (1973m), an den sich ein Abstieg im erwähnten Regen bis zum Mittag nach Holzgau (1114m) anschließt. Unterwegs muss man sich entscheiden, ob man die längere Variante über die mit 200,5 Metern längste Seilhängebrücke Österreichs über die Höhenbachschlucht nimmt, oder etwas Zeit für den Rest des Tages einspart und die Variante über den Simms-Wasserfall läuft. Wir wählen – vermutlich auch aufgrund der Wetterlage – die zweite Option. Puuuh… diese Entscheidung fällt basisdemokratisch. Meine Höhenangst erhält nochmal eine Absage. Sicherlich nur ein Aufschub des Unausweichlichen, denke ich mir. Als wir schließlich Holzgau erreichen reißt die Wolkendecke auf. Regen ist alle.
 

Blick von Holzgau in Richtung Jöchlspitze.

 

Die klassische E5-Route sieht in der zweiten Tageshälfte einen Aufstieg zur Memminger Hütte vor. Wir nehmen jedoch eine alternative Teiletappe, da die Memminger Hütte restlos ausgebucht war. Unser Tagesziel ist deshalb das Württemberger Haus auf 2200m. Diese „Not“-Variante sollte sich aber als absoluter Glücksfall herausstellen.

Bevor wir uns aber an den anspruchsvollen Aufstieg machen, legen wir von Holzgau aus ein kurzes, wandertechnisch gesehen uninteressantes Teilstück mit einem Shuttle zurück. Der Shuttletreffpunkt liegt gegenüber vom Gasthof Bären, wo sich Mike und Jüne ein Stück Kuchen und etwas Bier gönnen. Ich versuche unterdessen unsere Poleposition in der Shuttlewartezone gegenüber anderen Wanderern zu verteidigen, da die Firma Feuerstein nur stündlich von hier ablegt und uns eins ihrer Shuttle kurz zuvor vor der Nase weggefahren ist. Dominik war derweil im Ort auf der Suche nach Nahrungsmitteln unterwegs. Hunger ist bei Dominik ein ständiger, präsenter Begleiter. Genau genommen überqueren wir die Alpen also eigentlich zu fünft. Dann kommt der rote Kleinbus endlich wieder und nach der Zahlung von 15€ pro Person sitzen wir mit mehr Fahrgästen als die österreichische Polizei erlauben dürfte in dem Höllengefährt. Jüne und Dominik sitzen in Reihe 1 neben unserem Piloten, erleben den Nervenkitzel hautnah und dürfen immer wieder in den nur Zentimeter entfernten Abgrund blicken, der unseren sicheren Tod bedeutet hätte, wenn Mr. Helldriver nicht bei jeder Spitzkehre den exakt richtigen Einschlag am Lenkrad gewählt hätte. Aber okay, denkt wohl jeder von uns. Der Mann scheint Profi zu sein. Er muss wissen was er tut. Mike und ich jedenfalls sind froh hinten zu sitzen und nicht die gesamte Fahrt sehenden Auges miterleben zu müssen. Kerstin und Claudia vom Vorabend sind ebenfalls Passagiere des rasenden Blechkübels und wir kämpfen mit Ihnen für den Rest des Tages zu sechst gegen die Höhenmeter.

Nach ca. 20 – 30 Minuten Fahrzeit werden wir in einem Waldstück am Abzweig zum Württemberger Haus abgesetzt. Zunächst laufen wir eine Weile einen Fahrweg mit moderater Steigung bergan, dann wechseln wir wieder auf einen Wanderpfad. Nach einer kurzen Pause und etwas Gassifliegen mit der Mavic Pro auf einer Geröllaufschüttung an einem fließenden Gewässer geht es weiter. Der Name des „reißenden Gebirgsstroms“ ist mir nicht bekannt, aber ich sollte kurz darauf auf Tuchfühlung mit dem kühlen Nass gehen und es besser kennenlernen. Tatsächlich war die Überquerung des ca. 5m breiten Flusses garnicht so einfach. Die Strömung war stark und turbulent, die vereinzelt herauslukenden Steine rutschig und stellenweise war das Wasser knietief. Jüne zaubert sich trockenen Fußes in der Dauer eines Wimpernschlages ans andere Ufer. Ich verstehe bis heute nicht, wie er das gemacht hat. Der Rest von uns versucht es weiter stromaufwärts. Eine Fehlentscheidung, denn ich rutsche am steiler werdenden Ufer ab, will mich im Fallen abstützen und knalle auf mein Gimbal samt GoPro. Von nun an ist das Gimbal nutzlos und nur noch unnötiger Ballast für den Rest der Woche, da ich beim Aufprall ein Gegengewicht verliere. Als wäre das nicht genug des Ärgers, stehe ich nach vollendetem Sturz mit beiden Stiefeln so tief im Wasser, dass mir selbiges von oben hineinläuft. Für den Rest des Tages heißt das: „Watsch, watsch, watsch“ mit jedem Schritt. Aber ich hatte Glück im Unglück: immerhin lief die GoPro. Irgendwie und irgendwann schaffen wir es dann doch alle mit vereinten Kräften über das Hindernis.

Kurz darauf wird das Profil langsam steiler. Wir lassen Wald, Wasser und Geröllfelder hinter uns und sind auf dem Weg Richtung Schiefersee und Leiterjöchl. Die Höhenmeter purzeln nur langsam, man merkt die Anstrengung. Verschnaufpausen und 2000m-Schnaps werden eingelegt. Dann erreichen wir die Schneegrenze.
 

Auf dem Weg Richtung Leiterjöchl.

 

Etwas oberhalb des Schiefersees stehen wir plötzlich vor einer Felsspalte, in der große Gesteinsblöcke imposante Stufen bilden. Wir schauen uns ungläubig an und fragen uns, wie wir trotz der rechtsseitig angebrachten Stahlketten diese Passage meistern sollen. Tatsächlich ist es meiner Meinung nach das schwierigste Stück der gesamten Woche, da man hier den Hebel von „Wandern“ auf „Klettern“ umlegen muss. Die großen Rucksäcke auf unseren Rücken wollen leider lieber Richtung Erdmittelpunkt und sind keine große Hilfe beim Vorwärtskommen. Aber wir kämpfen uns Stufe für Stufe nach oben. Unser Wanderführer beschreibt diesen Punkt relativ salopp und knapp. Viel zu Larifari wie ich finde. Einige Wandersleute, die nicht wie wir Maschinen sind, dürften hier tatsächlich Schwierigkeiten bekommen, wenn nicht gar an ihre Grenzen stoßen und mitunter zur Umkehr gezwungen werden. Aber das nur am Rande… Als wir uns dann die letzte Stufe in der Kluft hochziehen und das Joch nicht mehr weit ist, kommt die Sonne raus. Da ist es wieder das Glück. Und Glück hat auch Dominik, der um ein Haar eine Rutschpartie bis ins Tal unternommen hätte, wenn er sich beim gleichzeitigen Klettern und Drohnefliegen, nicht gerade noch so hätte abfangen können. Wir kraxeln noch kurz über ein paar schneebedeckte, rutschige Hänge und erreichen das Leiterjöchl (2516m). Die Aussicht und das Wetter sind ein Traum.
 

Auf dem Leiterjöchl (2516m).

 

Leider spielt mein Verdauungsapparat etwas verrückt, sodass ich die Aussicht nur kurz genießen kann. Ich mache mich vor den anderen fünf an den Abstieg zum Württemberger Haus (2200m). Die roundabout 300 Höhenmeter im Schnee sind in ca. einer Stunde zurückgelegt. Als ich ankomme bin ich glücklich, aber wirklich geschafft. Mein Körper spürt die beiden zurückliegenden Tage und die ersten Blasen zeigen sich an den Füßen.

Das ist aber alles halb so wild, weil in diesem Moment sonst alles perfekt ist. Man spürt den Charme des gemütlichen Württemberger Hauses sofort und das Panorama bei bestem Bergwetter ist der Knaller. Abgerundet wird der Start in die goldene Stunde durch ein wohltemperiertes Weizenbier. Absolutes Kontrastprogramm zum Vorabend auf der Kemptner Hütte.

Nachdem auch die anderen eingetroffen sind, suchen Dominik und ich die letzte Herausforderung des Tages und machen uns in Flipflops auf den Weg zur eiskalten Freiluftdusche inklusive Alpenglühen. Extrem frisch die Angelegenheit! Aber sowas Exklusives hat man ja nicht alle Tage.
 

Beginnendes Alpenglühen. Blick vom Württemberger Haus aus dem Medriolkessel in Richtung Süden.

 

Danach geht’s zügig in den Gastraum und wir bekommen wirklich fantastische Spaghetti Bolognese serviert. Generell muss man sagen, dass die Mahlzeit nach den anstrengenden Etappen gefühlt immer besser als an gewöhnlichen Tagen schmeckt. Dies soll aber den tadellosen Nudelschmaus nicht schmälern. Nach der Stärkung gehts für Dominik und mich nochmal nach draußen, um die Stimmung der blauen Stunde digital zu konservieren.
 

Württemberger Haus auf 2200m.

 

Mike und Jüne probieren sich zu dieser Zeit durch die Schnapskarte des Hauses, knipsen sich leicht die Lampen an und lernen ein Nürnberger Dreiergespann mit Hund kennen. Das Trio erzählt wie leichtpfotig ihr Vierbeiner die Kletterpassage unterhalb der Leiterjöchls gemeistert hat. Crazy Dog. Die Frage ist nur, was das für unsere Leistung bedeutet. Wir werden es wohl nie erfahren. Den netten Jungs sollten wir noch ein paar Mal über den Weg laufen.

Unser Fazit zur Hütte:

Die Hüttenwirtsleute sind richtig nett und aufmerksam, die Atmosphäre ist ob der geringen Anzahl an Hüttengästen super angenehm und gesellig, das Matrazenlager ist klassisch und doppelstöckig, der Trockenraum ist der Hit und verdient seinen Namen zu 100%. Jüne und Mike überlegen im nächsten Jahr wiederzukommen. Württemberger Haus wir feiern dich.

Wahnsinnstag. Gute Nacht.
 

Tag 3: Württemberger Haus – Gasthof Kreuz in Rifenal (0m ↑, 1450m ↓)

05:45 Uhr. Dominik und ich sind die ersten wachen Geister auf der Hütte an diesem Morgen. Der Plan: Fotos von einem spektakulären Sonnenaufgang machen. 05:50 Uhr. Ein Blick aus dem Fenster verheißt nichts Gutes für das Projekt. 06:00 Uhr. Wir haben uns trotzdem in Nebel und Nieselregen rausgewagt, denn die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt. 06:15 Uhr. Es ist und bleibt grau. 4-5 Meter Sichtweite. Wir begraben den Plan und gehen Frühstücken. Das Frühstück ist preislich und kulinarisch nahezu identisch zum Vortag. Aber man gewöhnt sich dran. Ein Upgrade (extra Scheibe Brot) gibt es für 50 Cent.

Wir suchen unsere Sachen zusammen, lassen es aber gemütlich angehen. Denn es steht nur ein etwa 4-stündiger Abstieg nach Zams (767m) auf dem Programm.

Ich freue mich wie ein Schneekönig, als ich meine Klamotten aus dem Trockenraum hole. Alles knochentrocken. Sogar meine klitschenassen Stiefel sind über Nacht getrocknet. In den mollig warmen Boots läuft es sich fast wie von alleine los.

Die heutige Gehzeit ist überschaubar. Aber die Knie müssen bei etwa 1500 Höhenmetern abwärts Höchstleistungen bringen. Die Wanderstöcke minimieren die Belastung auf ein erträgliches Maß. Ich habe Stöcke von Black Diamond. „Die waren sauteuer“. Mit diesem Satz kann man Jüne eine kleine Freude machen, da er ihn an ein Urlaubserlebnis mit einem versnobten Sportsfreund erinnert, der sich mit diesen Worten in einem Hotel über einen vermeintlichen Diebstahl echauffierte.

Schnell unterschreiten wir die 2000m-Marke. Ein Glück. Schnaps um 9 Uhr in der Früh. Ein Beschleunigungstrunk. Wir sind zügig unterwegs und erreichen die Unterlochalm (1567m), bei der wir für eine kurze Erfrischung einkehren. Hier treffen wir auch wieder auf den klassischen E5, den wir gestern für unser alternatives Nachtlager verlassen hatten.

Auf einem schmalen Pfad laufen wir an der steilen Bergflanke weiter talwärts. Der Blick nach rechts zum Abgrund ist nahezu auf dem gesamten Weg imposant und ich muss mich extrem konzentrieren, um meiner Höhenangst Paroli zu bieten. Meine Taktik: kompletter Fokus auf den Pfad unmittelbar vor meinen Füßen, Abgrund rechts ausblenden. Ich reiße mich tapfer zusammen und frage mich, ob es die anderen merken, dass ich stark angespannt bin. Niemand spricht mich diesbezüglich an. Eine herausragende Schauspielleistung meinerseits dürfte der Grund dafür sein. Gebt mir einen Oscar.

Kaffeepause. Endlich kommt Jünes Kocher zum Einsatz. Dominik schnappt sich das lösliche Instantpulver und mixt sich einen Trank, der härter ist, als jedes Gestein das sich im gesamten Alpenraum finden lässt. Sein Rezept besteht aus heißem Wasser und ca. 10 Teelöffeln des braunen Granulats. Na denn Prost. Oha, der schlägt durch. Jetzt aber ab nach Zams.

Es geht weiter die V-förmige Schlucht durch das Zammer Loch hinab und nach einiger Zeit ist das Tagesziel zum ersten Mal sichtbar. Wir genießen den tollen Ausblick auf Zams im Inntal. Dann nehmen wir uns die verbleibenden Serpentinen zur Brust und erreichen den Ort zur Mittagszeit. Mittagszeit? Das Magenknurren und Dominik werden in der Metzgerei Schmid besänftigt. Frisch gestärkt werden noch ein paar Erledigungen im Ort gemacht. Mike und Dominik besorgen sich Imprägnierspray für ihre „Regenjacken“, doch das Zeug sollte sich noch als komplett wirkungslos herausstellen. Dann kaufen wir Tickets für die Venetbahn, die wir früh am nächsten Morgen nehmen wollen.

Unsere Unterkunft für die Nacht ist der Gasthof Kreuz in Rifenal. Wir wollen ehrlich sein. Wir nutzen den Abholservice des Gasthofs, da Rifenal etwas außerhalb von Zams liegt und wir keine Lust haben, die einzige Verbindung entlang der Hauptstraße zu laufen. Ab jetzt gibts Wellness. Kräftesammeln für die kommenden Etappen. Die erste warme Dusche seit Tagen. Ein eigenes Zimmer mit Privatsphäre. WLAN. Wir sind erst zweieinhalb Tage unterwegs und trotzdem wissen wir diese im Alltag selbstverständlichen Dinge besonders zu schätzen. Wir nutzen den freien Nachmittag auch dazu, unsere Rucksäcke auf Grundlage der gemachten Erfahrungen neu und nach Erreichbarkeiten priorisiert zu ordnen.

Der Rest des Tages ist schnell erzählt: Sonnenterrasse, Abendessen, Bier, Schnaps, Bett. Der Gasthof ist wirklich zu empfehlen. Natürlich hinterlässt er größere Spuren im Geldbeutel als eine DAV-Hütte, dafür stehen zivilisatorische Luxusgüter zur Verfügung. Die Übernachtungskosten lagen bei ca. 40€ pro Person.
 

Tag 4: Gasthof Kreuz in Rifenal – Braunschweiger Hütte (1380m ↑, 1580m ↓)

Wieder mal Frühstart. Wir müssen die erste Seilbahn in Zams nehmen, um bei der heutigen langen Etappe nicht Gefahr zu laufen, dass wir nicht rechtzeitig auf der Hütte sind und unsere Schlafplätze weitervergeben werden.

Also raus aus den Federn und ab nach unten zum Frühstück. Alle Frühstücksfreunde sind schon da: Brötchen, Käse, Aufschnitt, Marmelade, Nutella, Kaffee, O-Saft. Richtig gut nach zweimal Frühstück der Entbehrungen. Doch 4 deutsche Alpenüberquerer fragen sich tatsächlich: „Wo sind die Eier?“ Nee klar. Irgendwas ist ja immer. Aber wir wandern eben mit völliger Hingabe und fordern deshalb auch von unserer Umwelt das Maximum.

Mit der völligen Hingabe nehmen wir es zunächst doch nicht so genau und lassen uns erstmal zur Talstation der Venetbahn shuttlen. Raus aus der Kiste und mit Warpgeschwindigkeit am Schalter vorbei zum noch verschlossenen Eingang. Erster in der noch nicht vorhandenen Schlange. Poleposition wieder einmal. Tickets hatten wir ja gestern schon gekauft. Fuchs wird man nicht, Fuchs ist man. 2 Minuten später schlägt dann eine teilnehmerstarke Bergschule am Eingang auf. Dieses Mal paart sich das Glück wohl mit unserer Weitsichtigkeit, denken wir in diesem Moment. Letztendlich ist alles, was ich gerade ausgeführt habe, vollkommen egal, da wir um Punkt 08:00 Uhr alle (!) in die Kabine gepfercht werden. Wie Sardinen in der Büchse. Literally! Aber es ging ja auch ums Prinzip. Das Trostpflaster für diese gefühlte Niederlage ist eine der Bergführerinnen der Bergschule, die uns schon auf der Kemptner Hütte positiv aufgefallen war. Wow. Eine Wahnsinnsfrau. Meine Gedanken sind jedoch sehr schnell wieder bei mir und meinem Problem mit einer unnatürlich großen Menge Luft zwischen mir und der Erdoberfläche. „Ja schöne Aussicht, aber jetzt fahr das Ding endlich nach oben“ möchte ich dem Fahrer zurufen. Und dann hält das Teil doch tatsächlich ohne erkennbaren Grund an. Keiner konnte mir diese sinnlose Showeinlage erklären. Nach 8 Minuten ist der Spuk endlich vorbei und wir erreichen die Bergstation der Venetbahn (2212m).
 

Auf dem Krahberg.

 

Wieder festen Boden unter den Füßen laufen wir bei bestem Wanderwetter vom Krahberg aus den Panoramaweg Richtung Wenns im Pitztal.
 

Kurz vor dem Einstieg zum Panoramaweg nach Wenns.

 

Leider haben wir auf der Bergstation etwas zu lange gebraucht, um uns und unsere Sachen zu sortieren. Nicht gut. Denn als wir nach ein paar hundert Metern den schmalen Panaramaweg erreichen, laufen wir auf das Ende einer Perlenkette auf. Glückwunsch. Die Bergschule aus der Gondel. Überholen unmöglich. Also zunächst erstmal weiter in gemäßigtem Tempo. Anscheinend fallen wir nach etwa 15-20 Minuten in Lauerstellung unangenehm auf, da wir plötzlich höflich vorbeigewunken werden. Ein letztes Augenzwinkern zur Bergführerin und wir ziehen das Tempo wieder an. Das Wetter wechselt jetzt je nach Höhe zwischen Sonnenschein und dichtem Nebel.

Wir passieren die Galflunalm (1960m) und die Larcher Alm (1814m) – aufgrund des noch ausstehenden Programms – ohne Einkehr. Sieht uns eigentlich garnicht ähnlich.

Wir sind mittlerweile auf einem breiten Fahrweg unterwegs und unsere Füße sind dankbar für dieses kurze Stück ebenen Untergrunds. Der Fahrweg verläuft in großzügigen Serpentinen gemächlich talwärts. Nach einer Kehre stehen plötzlich 15 Kühe vor uns, die ein Gatter und uns damit den Weg versperren. Jüne, Mike und Dominik gehen mutig voran und drängen die Milchproduzenten respektvoll beiseite. Ich filme das Geschehen aus sicherer Entfernung, um im Falle eines Falles einen epischen Kampf zwischen Mensch und Kuh zu dokumentieren. Da hätte Dicaprio mit „The Revenant“ einpacken können. Aber die Kühe waren gechillt. Es kam zu keinerlei Provokationen zwischen den Lagern Tier und Wandertier.
 

(Foto: D.Fischer, Bildbearbeitung: Zé Bastiansson)

 

Kurz darauf wird der Abstieg steiler und dadurch auch unangenehmer zu laufen. Aber unangenehm macht uns nur härter und besser. Es geht noch über ein paar Kuhwiesen, ehe wir die Straße hinab nach Wenns erreichen.

An der Bushaltestelle in Wenns (962m) ist Halbzeit. Höhenmeter abwärts sind für heute passé. Wir bräunen uns etwas in der Mittagssonne, während wir auf den Bus nach Mittelberg (1736m) warten. Von dort aus starten wir später den Aufstieg zur Braunschweiger Hütte. Die Fahrt dauert etwa eine Stunde. Der Busfahrer ist gut drauf und pfeift fröhlich ein Lied aus dem Radio mit. Wir nutzen die Pause zur Regeneration und genehmigen uns den obligatorischen Höhenmeterschnaps, als wir während der Busfahrt die 1000m-Marke knacken. Ja okay, das war nicht ganz regelkonform, aber wir wollten den Zorn der Berge nicht unnötig auf uns ziehen und deshalb lieber einen Sicherheitsschnaps naschen.

12:30 Uhr. Ankunft Mittelberg. Ab jetzt geht’s aufwärts. Wir laufen die erste halbe Stunde bei leichter Steigung auf einem Fahrweg entlang des idyllischen Baches Pitze. Am Wegesrand picknickt eine Wandergemeinschaft und wir erkennen im Vorbeilaufen was es Gutes zu essen gibt: Stracke mit Brot. Was für eine geile Idee. Wieso nur sind wir nicht auf sowas gekommen? Bei uns gibts tagein tagaus Müsliriegel gegen den kleinen Hunger zwischendurch. Kein Wunder, dass Dominik da schonmal zur Diva wird (no offense Dom). Nächstes Mal kommt ne Ahle Woscht mit. F‘jedn!

Wir erreichen die Berghütte Gletscherstube (1915m) und müssen nicht lange überlegen, ob wir einen Zwischenstop einlegen. Jüne und ich belassen es beim Standard: Mittagsruss für die trockene Kehle. Bei Mike und Dominik kommt noch eine Goulaschsuppe obendrauf und es scheint vorzüglich zu schmecken.
 

Gletscherstube. Ein Bild für die Götter.

 

Frisch gestärkt ans Werk. Wir laufen weiter linksseitig der Pitze, direkt auf einen im Sonnenlicht schillernden Wasserfall zu. Hier beginnt dann auch langsam wieder der Puls zu klettern, als wir über den schmalen, stufigen, teilweise versicherten Steig direkt durch die Felswand nach oben kraxeln. Hin und wieder verschnaufen wir kurz und genießen die atemberaubende Aussicht. Killerview! Der Alltag ist weit weg. Man ist einfach im hier und jetzt. Und es fällt einem auf, wie selten man heute eigentlich in diesem Zustand ist. Kein Smartphonegeklingel, WhatsApp-Druck oder Jobstress. Schon ziemlich gut hier. Um diesen Moment noch etwas besser zu machen, könnte man einem Glückspilz höchstens noch ein Glückspils reichen.

Wir wenden uns wieder der Physik zu. F = m * a. Kraft gleich Masse mal Beschleunigung. Irgendwann mal gelernt, bekommen wir die Formel erneut zu spüren als wir uns wieder in Bewegung setzen. Der Rucksack ist in den vergangenen Tagen ja auch nicht leichter geworden.

Wir erreichen eine Abfahrtspiste, die immer steiler zu werden scheint, bis wir nach ein paar hundert Metern und Kurven links auf einen schmalen Wanderweg zur Braunschweiger Hütte (2759m) abbiegen.

Von hier aus sind es etwa nochmal 1 – 1,5 Stunden bis zum Ziel. Wir nähern uns dem Mittelbergferner und begegnen hin und wieder ein paar postkartenmäßig posierenden Steinböcken. Es gibt sicherlich schlimmere Orte auf diesem Planeten. Denkt sich auch Dominik und lässt nochmal die Mavic von der Leine.
 

Aufstieg zur Braunschweiger Hütte (wer findet den Steinbock?).

 

Und dann ist es geschafft. Noch die letzten Stufen zum Eingang der Braunschweiger Hütte. Und wer sitzt schon auf der Sonnenterrasse bei lecker Weizenbier? Unsere Bekanntschaften aus Hamburg und Nürnberg. Wieder einmal verstehen wir nicht, wie das sein kann, da wir zumindest Kerstin und Claudia schon früh am Morgen überholt hatten. Aber man muss auch nicht alles verstehen und deshalb fragen wir nicht nach, sondern widmen unsere volle Aufmerksamkeit der Beschaffung unseres hopfenhaltigen Kaltgetränks. Das Feierabendweizen schmeckt bei dem vor uns liegenden Gletscherpanorama besonders gut.
 

Feierabend auf der Braunschweiger Hütte (2759m) (Foto: unbekannte Wandersfrau, Retusche: Zé Bastiansson).

 

Die Hütte ist gut besucht und es herrscht reger Betrieb. Ähnlich wie am ersten Abend auf der Kemptner Hütte, aber trotzdem nicht zu vergleichen. Denn die Braunschweiger Hütte ist die am besten organisierte Hütte in der ganzen Woche. Von A bis Z top Service, nettes Personal und gute Ausstattung. Gut organisiert sind auch Mike, Dominik und Jüne, als sie zusammen zum Waschraum gehen und den Duschautomaten natzen, indem sie zu dritt mit nur einer Duschmarke duschen. Wieder einmal ein Sieg Mensch über Maschine. Gegen 3 Füchse kannst du halt nix machen.
 

Blick von der Sonnenterrasse der Braunschweiger Hütte auf den Linken Fernerkogel.

 

Die Braunschweiger Hütte erhält unsere klare Übernachtungsempfehlung. Prädikat: gerne wieder.
 

Tag 5: Braunschweiger Hütte – Martin Busch Hütte (960m ↑, 1330m ↓)

Ring Ring. Aufstehen. Aua. Au. Auaaa. Warum tut mein Schädel nur so weh. Wir waren gestern Abend doch eigentlich eher schwach am Glas. Aber dann kapiere ich relativ schnell, wieso ich dringend eine Kopfschmerztablette benötige. Der Schlafraum hat sich über Nacht in eine Sauna verwandelt. Die Luft ist so trocken wie ein Wüstensturm. Alle Fenster sind geschlossen. Die Heizung lief die ganze Nacht auf Vollgas. Na toll. Ein Tatverdächtiger konnte zu dieser frühen Stunde nicht ermittelt werden. Zum Glück schlägt die Aspirin in Windeseile an.

Wir zockeln in den Gastraum zum Frühstück. Uns erwartet ein kleines Buffet. Nichts extravagantes, aber vollkommen ausreichend. Wir vermeiden ein ausführliches Zelebrieren der morgendlichen Nahrungsaufnahme, schließlich sind die gemachten Erfahrungen mit dem Stau auf dem E5-Highway vom Vortag noch frisch. Also sehen wir zu, dass wir Land gewinnen und vor den restlichen Stiefelträgern an den Start gehen. Noch schnell das obligatorische Morgenselfie vor unserer Unterkunft und dann fällt der Startschuss für Tag 5.

Es ist ziemlich frisch, die Luft superklar. Wir sind warm eingepackt und laufen an einem zugefrorenen, türkisblauen See vorbei in einen fantastischen Sonnentag hinein. Das Glück ist uns weiterhin hold. Der Tag beginnt mit einem kurzen Aufstieg zum Pitztaler Jöchel (2996m) und der damit bis dato höchsten Stelle auf unserer Tour. Während des Aufstiegs drehen wir uns gelegentlich um und halten Ausschau nach der Bergschule, die uns auf den Fersen ist. Wir versuchen den Abstand relativ konstant zu halten, was auch ganz gut klappt.
 

Aufstieg zum Pitztaler Jöchel (Foto: D.Fischer).

 

Auf dem Pitztaler Jöchel angekommen, werden erstmal fleißig Bilder gemacht. Denn die Aussicht kann sich sehen lassen. Chic Schick Chic. Hier entsteht auch ein wirklich gelungenes Foto von uns, das Dominik aufgenommen hat. Jack Wolfskin hat sich auch direkt auf Dominiks Instagram-Post gemeldet und bezüglich einer Freigabe des Bildes angefragt. Denke das kann in Zukunft nur noch eine Anfrage des National Geographic toppen.
 

Ausblick vom Pitztaler Jöchel (Foto: D.Fischer).

 

Okay, die Bilder sind im Kasten und da ist auch schon die Bergschule. Also los. Ab dafür. Schön wär’s. Wir finden nämlich nicht direkt den Einstieg zum Abstieg. Also denkt sich Jüne, frag ich doch mal den Bergführer der Bergschule. Doch der grummelt sich nur angenervt irgendwas in den Bart, was kein Mensch verstehen kann. Herzlichen Dank. Wir kommen auch alleine klar. Und tatsächlich finden wir die E5-Markierung nach kurzem auch ohne sein Zutun und beginnen mit dem Abstieg.

Wir steigen zur Skilift-Talstation des Rettenbachferners über eine in den Schnee eingelassene Balkentreppe und ein Stück der Ötztaler Gletscherstraße hinab. Unser Ziel ist ein Shuttle, das uns durch den Rosi-Mittermaier-Tunnel (1729m Länge) zum Tiefenbachferner (Talstation der Gletscherbahn) bringen soll. Von hier aus soll es dann über den Panoramaweg nach Vent weitergehen.
 

Abstieg zur Skilift-Talstation des Rettenbachferners.

 

Doch… es ist garnicht so leicht das Shuttle, bzw. den Weg zur Haltestelle zu finden, da der Bereich um die Skilift-Talstation eine große Baustelle ist. Von der Ötztaler Gletscherstraße stoßen wir irgendwann auf einen großen Parkplatz, an dem es Fifty-fifty heißt. Rechts oder links. Ein handgeschriebenes, unscheinbares und äußerst unglaubwürdiges Schild mit der Aufschrift „Bus“ will uns nach rechts lotsen. Wir sind skeptisch. Mehr als das. Wir sind uns sicher, dass es sich bei dem Schild nur um einen Scherz handeln kann. Also werfen wir einen prüfenden Blick Richtung Talstation und stellen fest, dass links herum deutlich mehr Sinn machen würde. Wie wir da so stehen, bekommen wir Gesellschaft vom Nürnberger Trio mit Hundi, die unsere Überlegungen teilen und ins gleiche Horn stoßen. Also gehen wir gemeinsam links herum weiter bergab. Tja was soll ich sagen… Natürlich hatte das Schild recht und wir haben unnütze Meter gemacht, die uns unseren Vorsprung auf die Bergschule gekostet haben. Also pesen wir den Berg wieder hoch und gehen am Schild rechts. Jetzt haben wir ein unausgesprochenes, aber offensichtliches Battle mit der Bergschule. Alle wollen das wartende Shuttle kriegen. Wer weiß, wann das nächste kommt. Gefühlt stürmt alles auf das kleine Gefährt zu. Es ist müßig zu erwähnen, dass natürlich wir und unsere Nürnberger Buddies als erste in dem fahrbaren Untersatz sitzen. Die Bergschule schaut in die Röhre. Hier passt wohl die Redewendung: Das Glück ist mit den Dummen. Für ca. 8€ pro Person setzt uns das Shuttle kurz hinter dem Rosi-Mittermaier-Tunnel ab.

Nach einem kurzen Stück bergauf erreichen wir den Panoramaweg nach Vent (1895m). Wir laufen in ca. 3 Stunden mit einer genialen Aussicht über einen schmalen Pfad, Gesteinsschüttungen, kleine Bäche und grüne Wiesen hinab zu unserem Zwischenziel. Als etwa eine Stunde Abstieg hinter uns liegt, beginnen die „Leiden des jungen Zé“ (Teil 1). Es stehen Knieschmerzen auf dem Programm. Der Meniskusriss aus dem vergangenen Jahr macht sich – durch die Belastung der zurückliegenden Tage – nun doch bemerkbar. Eigentlich hatte ich schon früher damit gerechnet. Es ist vor allem das Bergablaufen, das mein Knie uncool findet. Natürlich dämpfen meine „teuren“ Black Diamond Stöcke die Stöße und verringern die Last auf den Gelenken, aber zaubern können sie nicht. Mein Wandertempo gleicht nun einer negativen Beschleunigung. Mit den Jungs kann ich nicht mehr mithalten. Ich muss also erstmal meine eigene Pace laufen. Mal hinter meinen Mitstreitern, mal vor ihnen. Davor aber nur, weil ich die Gelegenheit nutze „vorbeizusprinten“, als  meine Crew ein Päuschen einlegt. Es ist auch mal ganz angenehm etwas freier und mit eigenem Tempo zu laufen. Wenn auch gezwungenermaßen.

Als ich so vor mich hinlaufe, bietet sich mir ein absolut ulkiger Anblick. Eine Ziegenkolonne, die schön artig aufgereiht den verwundenen, schmalen Pfad vor mir entlang läuft. Irgendwie wirkt das in diesem Moment skurril, fast menschlich wie sie da so herlaufen. Wie die Perlenkette vom Vortag, die die Bergschule gebildet hat. Ich muss abreißen lassen. Die tierische Karawane zieht mich ab.

Kurz vor Vent warten die Jungs auf mich, damit wir gemeinsam einlaufen können. Es ist Mittagszeit und natürlich knurrt Dominiks Magen am lautesten. Um ihn zu besänftigen und natürlich auch unseren Bedürfnissen nachzukommen, kehren wir im Hotel Alt Vent ein. Wir sitzen draußen, unter dem unermüdlich scheinenden Lorenz. Dominik, Mike und Jüne wählen irgendwas schnitzelpommesmäßiges. Ich entscheide mich für Kaiserschmarrn. Wer hier an einen süßen Snack denkt ist schief gewickelt. Als der Kellner meinen Teller bringt, sehe ich wie Trizeps und Bizeps unter seinem Hemd arbeiten müssen. Der Berg Teig den er vor mir abstellt scheint einem 3000er aus der näheren Umgebung nachempfunden. Der Puderzucker symbolisiert wohl den Schnee. Es schmeckt unfassbar lecker. Ich habe die perfekte Wahl getroffen. Außerdem hat sich der Kaiserschmarrn als absolut vollwertige und sattmachende Mahlzeit herausgestellt. Lecker Schmackofätzchen war das. Zwischenzeitlich haben wir noch Gesellschaft von zwei netten Hamburger Hipstern an unserem Tisch bekommen. Dem Duo sind wir im Laufe des Vormittags immer mal wieder auf dem Panoramaweg begegnet. Die zwei waren gemütlich unterwegs. So gemütlich, dass sie sich an einem schönen Aussichtspunkt nen amtlichen Dübel angezündet hatten. Ziemlich risky bei den Absturzmöglichkeiten wenn ihr mich fragt.
 

Auf dem Weg zur Martin-Busch-Hütte.

 

Der 2,5 – 3 stündige Aufstieg zur Martin-Busch-Hütte (2501m) verläuft fast komplett über einen breiten Fahrweg. Meinem Knie gefällt das Bergauflaufen ganz gut. Fast keine Beschwerden mehr. Schätze der Mittagsruss hatte heilende Wirkung. Trotzdem sind wir alle mal wieder ziemlich platt, als wir gegen halb fünf unser Nachtlager erreichen.

Die Hütte ist okay. Aber Gemütlichkeit will nicht so richtig aufkommen. Eine heiße Liebe wie zum Württemberger Haus entsteht hier nicht. Unser Zimmer ist ein doppelstöckiges Lager für insgesamt ca. 14 Personen. Eine gastige Wanderschrapnelle vom Bett gegenüber habe ich sofort in mein Herz geschlossen. „Könnt ihr sofort damit aufhören hier im Zimmer literweise Deo zu benutzen!?“ fährt sie mich an, als ich aus dem Waschraum wiederkomme. Kein „Hallo“. Kein „bitte“. Schlecht erzogen die Mutti, kommt es mir in den Sinn. Ich bleibe trotzdem höflich und erkläre ihr, dass hier niemand Deo benutzt hat und dass es sich bei dem Geruch um Pferdesalbe handelt und dieser sicherlich – nach kurzer Lüftung – bis zum Schlafengehen nicht mehr wahrnehmbar sein wird. Auweia. Lüftung? Fenster auf? Geht ja mal garnicht, dann wird es ja kalt im Zimmer, entgegnet sie mir sinngemäß. „Hömma du olle Else, mach dich ab in dein Wellnesshotel, wenn du das hier nicht erträgst, sonst gibbets gleich Kasalla“, schicke ich ihr durch einen intensiven Blick an die Omme. Irgendwie löst sich die Situation auf und wir gehen getrennter Wege.

Ich steige ins Duschteam ein. Was einmal funktioniert hat, klappt in der Regel auch ein zweites Mal. Der Duschautomat hat keine Chance. 2 Duschmarken für 4 Duscher. Monsterersparnis. Diese können wir beim Abendessen zusätzlich investieren. Aber der Schweinebraten mit Klößen und ich glaube Rotkohl haut keinen von uns so richtig vom Hocker. Und Achtung: das Bier will heute auch nicht wirklich verführerisch schmecken. Jüne und Mike versuchen die Lust auf Bier mit ein wenig Schnaps zu aktivieren. Gelingt aber auch nur bedingt.

Inzwischen haben zwei Bergschulen den kompletten Gastraum der Hütte für sich eingenommen. Bis jeder einen Platz gefunden hat, vergehen etwa 20 Minuten. Wäre nicht unsere Lieblingsbergführerin dabei gewesen, hätten wir sicherlich schlechte Laune bekommen. So aber bleiben wir cool.

Bevor wir nach oben gehen, um uns dem Matratzenhorchen zu widmen, besprechen wir noch kurz den nächsten Tag. Es ist Schlechtwetter vorhergesagt. Möglicherweise so schlecht, dass die Etappe zu gefährlich werden könnte. Man muss schon mit ner gesunden Portion Respekt an die Sache herangehen und wir sind nunmal unerfahrene Alpinos. Wir überlegen, was wir machen könnten, wenn die Wetterbedingungen die nächste Etappe gefährden sollten. Aber wir finden keine Antwort. Also vertrauen wir darauf, dass der Wetterbericht wieder einmal nicht stimmt. Bisher war er ja auch nicht gerade treffsicher. Fake News!

Das Highlight der Hütte ist übrigens die Toilette mit Aussicht. Neben dem stillen Örtchen ist tatsächlich ein bodentiefes Fenster installiert, durch das man einen perfekten Blick auf einen auf die Hütte zulaufenden Wanderweg hat. Und die Wanderer haben natürlich einen perfekten Blick auf… nunja, ich denke das Bild ist klar.
 

Tag 6: Martin Busch Hütte – Garni Rika in Partschins (1350m ↑, 1800m ↓)

Heute gilts! Doppeletappe! Die gefürchtete Jünsche Doppeletappe!

Als der Wecker klingelt und wir uns mit Stirnlampe bewaffnet aus unserem Zimmer schleichen, um die anderen nicht zu wecken, ist noch vieles ungewiss. Wird unsere Glückssträhne weiter anhalten? Wird das Wetter zum Risikofaktor bei dieser Etappe? Wird mein Knie durchhalten? Ist die Jünsche Doppeletappe zu ambitioniert? Werden wir unser Tagesziel vor Einbruch der Dunkelheit erreichen? Diese und weitere Fragen, sollten bis 19 Uhr beantwortet sein. Aber fangen wir vorne an.

Sack und Pack unter den Armen, gehen wir zunächst nach unten in den Trockenraum. Wir packen die restlichen Klamotten ein und bereiten alles vor, damit wir nach dem Frühstück sofort los können. Der Trockenraum hat gute Arbeit geleistet. Das passt schonmal. Jetzt noch kurz die Nase vor die Tür gehalten, um den gestrigen Wetterbericht zu verifizieren. Es ist noch dunkel, aber trocken. Nach Regen oder Schlechtwetter sieht es eigentlich nicht aus. Aber wir wissen, dass sich das in den Bergen auch mal schnell ändern kann. Trotzdem freuen wir uns über unser schier unerschöpfliches Fortune.

Nach dem Frühstück noch schnell die Zähnchen geputzt und raus in die Dunkelheit. Wir sind die ersten, die sich an diesem Morgen auf den Weg machen. So früh sind wir in den zurückliegenden Tagen noch nicht gestartet.
 

Von der Martin-Busch-Hütte starten wir so früh wie die ganze Woche noch nicht… aus Angst vor der Jünschen Doppeletappe.

 

Der Weg führt uns durch ein ausgedehntes Hochtal hinauf zur Similaunhütte (3019m). Wir knacken also die magische 3000m-Marke und werden den höchsten Punkt der gesamten Tour passieren. Doch bevor es soweit ist, steht noch ein Aufstieg in dichtem Nebel auf der Agenda. Die grauen Schwaden werden immer dichter, desto höher wir aufsteigen. Synchron dazu fallen die Temperaturen minütlich. Bei unserem Start waren es noch 10°C. Als wir dann nach etwa 2 Stunden auf 3000m stehen, um uns den frühesten Höhenmeterschnaps einzuverleiben, zeigt meine Suunto nur noch 0°C an. Ziemlich zapfig hier. Und Aussicht ist auch keine zu bestaunen. Schade Marmelade. Aufgrund des mangelnden Weitblicks fällt unser Aufenthalt auf der Similaunhütte auch recht überschaubar aus. Wir nutzen die mollige Wärme der Hütte lediglich dazu, um auf trockene Shirts zu wechseln. Vettel macht kaum schnellere Boxenstops. Dann geht es weiter.
 

Beginn des Abstiegs von der Similaunhütte.

 

Ciao Italia. Wir spüren la dolce vita sofort als wir wieder auf die Strecke gehen, denn die Similaunhütte markiert auch die österreichisch-italienische Grenze. Die ersten zwei-dreihundert Höhenmeter des Abstiegs sind ziemlich steil und aufgrund der feuchten Wetterlage auch recht rutschig. Hier muss man sich schon konzentrieren, um den sicheren Tritt zu finden. Nach der steilen Passage wird der Abstieg dann aber immer flacher, doch der Nebel hält sich weiterhin hartnäckig. Nach weiteren 2-2,5 Stunden ist das erste Etappenziel fast erreicht. Vor uns erscheint der smaragdgrüne Lago di Vernago. Epischer Anblick. Colore fantastico. Nachdem wir unter Begleitschutz einer kontaktfreudigen Kuh die letzten Meter des Abstiegs absolviert haben, erreichen wir Vernagt (1700m) im Schnalstal.
 

Kurz vor Vernagt zeigt sich der Lago di Vernago.

 

Viele Wanderer fahren von hier aus mit dem Bus nach Meran und beenden hier ihre Alpenüberquerung. Nicht so wir. Wir knüppeln durch. Schließlich gilt es diese unmenschliche Jünsche Doppeletappe zu knacken.

Wir stehen also bei 50% vom vorletzten Wandertag. Dem Chuck Norris unter den Wandertagen. Wir sind einigermaßen müde und haben Hunger. Dominik hat mal wieder Kohldampf für zwei. Bei den übrigen 3 Hopfenblütenteefreunden kommt auch noch Durst dazu. Es ist mir fast schon peinlich was jetzt kommt, aber wir haben abermals mehr Glück als Verstand. Als wir Kurs auf die Vernagter Hauptstraße nehmen, müssen wir die Freudentränen zurückhalten, um nicht Glücksaquaplaning zu bekommen.

In Vernagt ist ausgerechnet heute der traditionelle Schafabtrieb. Nach einem schönen Almsommer kehren die Schafe über die Similaunhütte und das Niederjoch nach Vernagt zurück. Und jetzt kommt’s. Um diesen Schafabtrieb gebührend zu feiern, findet ein traditionelles Hirtenfest mit allerlei kulinarischen Köstlichkeiten aus der Region des Schnalstals statt. Für Livemusik sorgt die Jagdhornbläsergruppe Similaun-Schnals. Yeeehaaw!

Als wir auf dem Fest aufschlagen, machen gerade die Stände auf. Pünktlichkeit ist eben eine deutsche Tugend. Und wir sind gut erzogen. Aber mal im ernst, Fortuna macht uns langsam Angst. Die Angst betäuben wir dann schnell mit jeweils zwei schnellen Hellen. Uhh. Jetzt bin ich doch schon etwas angepikt. Das ist dann wohl auch der Grund dafür, warum die Band auf einmal funky rüberkommt. Lieber mal was essen, bevor es weitergeht. Wir gönnen uns Bratwurst mit Kuchen und sind beseelt.
 

Auf dem traditionellen Hirtenfest in Vernagt.

 

Aber alles Schöne geht auch mal zu Ende. Also Rucksack auf und die Bushaltestelle anvisiert. An der Haltestelle fasst Mike die gegenwärtige Situation treffend zusammen. Er bemüht dazu Showlegende Harald Juhnke: “Meine Definition von Glück: Keine Termine und leicht einen sitzen.“ Nach kurzer Wartezeit kommt dann der Bus, der uns nach Katharinaberg (1245m) bringt.

Ankunft Katharinaberg. Ab hier sind es nochmal ca. 6-6,5 Stunden bis zu unserem geplanten Nachtlager, dem Gasthaus Giggelberg. Die gesamte Etappe verläuft über den Meraner Höhenweg. Und diese zweite Etappe am heutigen Tag sollte es nochmal in sich haben. Nicht weil die Etappe vom Terrain her so anspruchsvoll ist, sondern weil die Gesamtwanderdauer von 11-12 Stunden an diesem 6. Tag mit der Vorbelastung der vorangegangenen Etappen schon ein dickes Brett zu bohren ist. So kommt es dann auch, dass kurz nach dem Start auf dem Meraner Höhenweg die „Leiden des jungen Zé“ (Teil 2) beginnen. Heute habe ich Hüfte. Ganz plötzlich, ohne Vorankündigung schmerzt der Hüft- und Leistenbereich, und zwar so, dass ich das rechte Bein auch nicht mehr wirklich anheben kann. I mean common. Bin ich wirklich schon so alt. Ich muss beißen. Noch etwa 5(!) Stunden beißen. Aber was soll ich machen..?! Ich denke für die Helikopter-Rettung ist es vielleicht doch noch zu früh. Also laufe ich wie am Vortag wieder einen großen Teil des Weges in meinem eigenen Tempo alleine.
 

Auf dem Meraner Höhenweg.

 

Irgendwann ist dann Halbzeit von der zweiten Etappe und wir kehren für ein paar Nachmittagsruss im Gasthaus Linthof (1464m) ein. Hier sind die Rentner außer Rand und Band. Mitten am Nachmittag wird hier eine heiße Sohle vom Feinsten aufs Parkett gezimmert. Irgendwie wirken die ganz schön drupp. So will ich auch mal sein, wenn ich Rentner bin.

Meine gegenwärtige körperliche Verfassung ist der eines Rentners jedenfalls schon recht ähnlich. Das bekomme ich dann auch beim Weiterlaufen im Tal der 1000 Stufen zu spüren. Eintausendfuckingstufen. Nagut ich will ehrlich sein, es sind eigentlich nur 987. Ein Glück. Sonst wär’s auch übertrieben gewesen. Ich bin am Limit und gehe auf dem Zahnfleisch.
 

Im Tal der 1000 Stufen.

 

Wo wir gerade bei Querelen sind… Komisch ist, dass Blasen die ganze Woche eigentlich kein großes Thema sind. Ja klar wir haben alle welche… Alle? Wirklich alle? Nein! Jünes Füße sind so glatt wie ein Babypopo. Da hat wohl einer entgegen der Absprache seine Schuhe heimlich eingelaufen. Nee Spaß beiseite, Jüne ist einfach zu leicht, als dass die zur Blasenbildung erforderliche Reibung entstehen könnte. Jedenfalls geht der Pokal für das außergewöhnlichste Exemplar an Mike. Sein Körper hat es geschafft eine Atomblase ungeahnten Ausmaßes zu generieren. Respekt dafür. Trotzdem ist es so, dass man die Blasen eigentlich nicht mehr wirklich wahrnimmt, wenn man morgens in die Stiefel schlüpft und erstmal 10 Minuten darin gelaufen ist. Aber das nur am Rande.

Als wir dann ca. 11,5 Stunden Laufzeit hinter uns haben und ich mich mit letzter Kraft die noch verbleibenden Meter entlang kämpfe, erscheint endlich die langersehnte Unterkunft für die Nacht am Horizont. Das Gasthaus Giggelberg (1565m). Mir schießen Freudentränen in die Augen. Ich hätte auch wirklich keinen Meter mehr weiterlaufen können. Wir haben es geschafft! Die sagenumwobene Jünsche Doppeletappe wurde in Grund und Boden gewandert. Möglicherweise sind wir die ersten Menschen auf diesem wunderbaren Planeten denen das gelungen ist. Jedenfalls ist eine frühere Bezwingung nicht dokumentiert (dies wurde durch eine zweiminütige Google-Recherche verifiziert).

Jeder von uns dürfte sich in diesem Moment den Verlauf des restlichen Abends ausgemalt haben. Sachen abladen, duschen, Bier trinken, was Leckeres essen, glücklich einschlafen. Bei der Reihenfolge gab es sicherlich Variationen, aber inhaltlich müssten wir komplett übereingestimmt haben. Nun gut. Wir betreten das Gasthaus Giggelberg und schreiten zur Theke, wo sich die Rezeption befindet. Und jetzt passiert das Unfassbare!

Unter ihrem Namen haben wir keine Zimmerreservierung stehen.“ Hat er nicht gesagt… Nee, kann er nicht gesagt haben. Doch. Hat er doch gesagt. Die Worte des Menschen hinter der Theke stechen mir direkt ins Herz. Aber noch sind wir der Ansicht, dass es sich nur um einen Irrtum handeln kann und sich das Problem gleich lösen wird. Unser Unterbewusstsein arbeitet aber vorsorglich daran, uns mental darauf vorzubereiten, gleich mit einer herben Enttäuschung umgehen zu müssen. Dominik und ich halten die angespannte Situation im Gastraum nicht aus und setzen uns nach draußen, während Mike und Jüne noch versuchen, zu retten was zu retten ist. Mittlerweile sind zwei Menschen damit beschäftigt im Computer und im Reservierungsbuch nach Jünes Namen zu suchen. Aber der Name will sich einfach nicht finden lassen. Gut. Jüne erhöht den Druck auf die Herrschaften, indem er den Joker ausspielt. Die Buchungsbestätigung des Gasthauses Giggelberg, die er per Mail erhalten hatte. Dazu muss er allerdings erst sein Handy für mehrere Minuten laden, da der Akku ritzeratze leergefahren ist. Nach einer kurzen Verschnaufpause für alle Beteiligten kann Jüne dann mit der Buchungsbestätigung aufwarten. Puuuhh. Das können die garantiert nicht kontern. Ich meine „Hallo?“. Wir haben die Buchungsbestätigung. Endstand 1:0 für uns. Ende und aus. Zimmer her jetzt!

Es tut uns wirklich leid, sie haben recht. Wir haben einen Fehler gemacht. Das ist tatsächlich eine Buchungsbestätigung von uns, aber wir sind leider komplett ausgebucht und haben keine Zimmer mehr frei.“, jammert der Gasthofmensch. Nach dem Stich ins Herz, jetzt der Schlag in die Magengrube. Okay das ist der Megaabfuck. Wir sind sauer. Freundlich sind wir schon lange nicht mehr. Aber es hilft ja nichts rumzuheulen, obwohl insbesondere ich das wirklich gerne machen würde. Ich habe nämlich keine Ahnung, wie ich mit meinen Hüftschmerzen noch weiterlaufen soll. Aber Fehler sind menschlich und können passieren, denken wir uns mantraartig, um unsere Wut zu zügeln. Es bedarf nun einer Problemlösung. Unsere Vorstellung einer Problemlösung hätte in etwa so ausgesehen: Kostenloses Abendessen oder wenigstens 4 Bier aufs Haus, während der Wartezeit, in der sich das Gasthaus Giggelberg um eine Alternativunterkunft für uns kümmert. Das wäre aufgrund der Schuldlage angemessen und zudem auch Schadensbegrenzung, bzw. Werbung für das Gasthaus gewesen. Aber wir sind den Damen und Herren herzlich egal und werden zur nahegelegenen Seilbahn geschickt, um uns im Tal auf die Suche nach einer Unterkunft zu machen. „Aber beeilen Sie sich, die letzte Fahrt für heute geht gleich ins Tal.“ Absolute Frechheit. Gasthaus Giggelberg gleich epic fail. Wir können hier keine Empfehlung aussprechen.

Jetzt denkt ihr: haha, endlich reißt mal die Glückssträhne der fantastischen Vier. Aber sie hat nur kurz abgebremst, um richtig Anlauf zu nehmen.

Wir zeigen gedanklich den F*ckfinger und schlurfen Richtung Seilbahn. Wir erwischen tatsächlich noch die letzte Fahrt der Texelbahn für heute ins Tal. Hätten wir sie nicht bekommen, wäre aus der Jünschen Doppeletappe, das Jünsche Triplett geworden. Vermutlich wäre ich dabei gestorben. Meine Höhenbedenken, die sich im Normalfall bei einer anstehenden Seilbahnfahrt gemeldet hätten, spielen keine Rolle mehr. Ich will nur B&B, ein Bier und ein Bett. Die Talfahrt nach Partschins (633m) dauert etwa 5 Minuten, in denen wir fieberhaft überlegen, wo wir heute nächtigen können. Wir telefonieren. Alles ausgebucht. Ratlos steigen wir an der Talstation der Texelbahn aus und zahlen unsere 9€ pro Person bei dem Seilbahnangestellten. Der Mann versprüht angesichts des nahenden Feierabends gute Laune und zeigt ehrliches Interesse an uns und unserer E5-Tour. Wir plaudern ein wenig und berichten ihm, von dem Geschehen von vor etwa 30 Minuten und von unserer Obdachlosigkeit. Ich weiß nicht, ob es Mitleid, Nächstenliebe oder Profitgier ist, die ihn dazu verleiten kurz zu telefonieren und uns in Windeseile eine Unterkunft für die Nacht zu besorgen. Aber es ist uns auch egal. Dieser Mann ist unser Held. Er erklärt uns noch kurz den Weg zur Unterkunft Garni Rika und wir machen uns auf den gerade einmal 5 minütigen Weg. Bäääm. Glücksoverload.

An der Unterkunft angekommen, macht uns eine superliebe italienische Omi die Tür auf und zeigt und erklärt uns alles ausführlich. Das „Notlager“ ist kein 5-Sterne Hotel, aber absolut passabel und mit 35€ pro Person inklusive Frühstück auch noch günstig. Ich hätte auch 100€ gezahlt. Aber sie nutzt unsere missliche Lage nicht aus. Die Omi verabschiedet sich und die Tür unseres Zimmers fällt ins Schloss.

Uff. Angekommen. Akku leer. Schlafen ist aber noch keine Option, da die flüssige Belohnung und das festliche Mahl für den Tageserfolg noch ausstehen. Also wird schnell heiß geduscht und sich fein gemacht. Da wir im Garni Rika kein Abendessen mehr bekommen können, brechen wir in Richtung Ortsmitte von Partschins auf.

Etwas Essbares zu finden sollte sich jedoch als garnicht so leicht herausstellen. Unseren ersten Versuch starten wir im Restaurant Cafe Garberstube. An der Theke sitzt unser Held, der Seilbahnangestellte. Nur leider ist kein Platz mehr frei. Versuch Nummer zwei im Restaurant Pizzeria Pub Buss’l & more brechen wir selber ab. Der Laden ist wie sein Name zu gehoben für uns. Unsere Outfits hätten hier wohl für einen Eklat mittleren Ausmaßes gesorgt. Dann versuchen wir es im Gasthof Pizzeria Stiegenwirt. Wir bekommen einen Platz mit wunderbarer Aussicht im Wintergarten und freuen uns auf unsere anstehende Bestellung. Doch dann ziehen dunkle Wolken am Vorfreudehimmel auf. Die ausgesprochen nette Bedienung kommt an unseren Tisch und beteuert, dass es ihr wirklich sehr leid tue, aber die Küche so ausgelastet sei, dass wir leider nichts bestellen könnten. Eine Hiobsbotschaft. Wir sacken in unseren Stühlen zusammen und sitzen nun da wie 4 kleine Häuflein Elend. Ein leichtes Zucken im Augenwinkel der Bedienung veranlasst uns aber dazu einen letzten Versuch zu starten. „Wir haben Zeit und können sehr lange auf unser Essen warten, wenn wir Bier bekommen können und hier sitzenbleiben dürfen.“, dürfte einer von uns sinngemäß gesagt haben. Die Bedienung ist bereit mit dem Küchenchef zu sprechen und kommt kurz darauf mit den Speisekarten zurück. Die Frau ist eine Heldin, was wir später beim Trinkgeld unterstreichen werden. Wir bestellen und bekommen unser Essen doch tatsächlich schneller als wir gucken können. Ist zwar irgendwie seltsam, aber warum sollten wir das hinterfragen. Ich esse hier die vielleicht beste Pizza meines Lebens. Ehrlich. Sie schmeckt fantastisch. Die Geschmackssensoren meiner Zunge feiern eine Party. Ich kann mich nicht mehr wirklich daran erinnern, was die Jungs gewählt hatten, aber die glückseligen Gesichter nach dem Essen habe ich noch vor Augen. Das superleckere, hausgemachte Tiramisu rundet das Festmahl ab.

Auf dem Rückweg Richtung Bett, kehren wir noch kurz für ein paar Kurze und Helle im Restaurant Cafe Garberstube von vor 2 Stunden ein. Dann geht’s ins Bett. Wir schlafen innerhalb von 2 Sekunden ein.
 

Tag 7: Garni Rika in Partschins – Meran

Eigentlich hätte heute noch eine 4-stündige Etappe vom Gasthaus Giggelberg nach Meran auf dem Programm gestanden. Doch wir wachen an diesem Morgen nach dem gestrigen Fiasko ja in Partschins auf und so muss umgeplant werden.

Während der Einnahme des Frühstücks überlegen wir, wie wir die Zielgerade nehmen wollen. Es kristallisiert sich relativ schnell heraus, dass wir die letzten paar Kilometer nach Meran nicht an der Hauptstraße entlanglaufen wollen und aufgrund des Regens lieber dem Bus den Vorzug geben. Danke Gasthaus Giggelberg. Du hast die Moral zerstört.

Beim Frühstücksbuffet fehlt es an nichts, die Omi wuselt aufmerksam herum und kümmert sich darum, dass auch immer alles da ist. Wir zahlen und bedanken uns artig für die späte Aufnahme am gestrigen Abend. Unser Fazit: Hier kann man absteigen.

Dann stapfen wir durch den Regen zur Bushaltestelle und fahren in etwa 20 Minuten ins Zentrum von Meran.

Wir sind am Ziel! Bucket List: Alpenüberquerung check. Hinter uns liegt eine Woche voller Eindrücke, Erlebnisse, Erfahrungen, Entbehrungen, Erkenntnisse, Erquickungen, Entdeckungen… Mehr Wörter mit E fallen mir gerade nicht ein. Es war wirklich toll! Macht das auch. Raus in die Natur. Ein bißchen Abenteuer.

Wir laden unsere Rucksäcke im Youth Hostel Meran ab. Die Übernachtung inklusive Frühstück kostet hier 27€, es ist alles da, was man braucht. Der Regen ist hartnäckig, aber wo wir schonmal in Meran sind, wollen wir auch ein wenig Sightseeing machen. Also Regenjacke an und aufi geht’s. Aber wirkliche Begeisterung für die Stadt kommt an diesem Nachmittag bei keinem von uns auf. Vielleicht ist es nicht ganz fair, die Stadt zu beurteilen, wie sie so daliegt: nass, grau, leer. Aber es scheint uns so, als müsste man jetzt nicht unbedingt hier gewesen sein.
 

Via delle Corse im Zentrum von Meran.

 

Die Highlights des Tages sind ein Spielenachmittag (Hennenrennen) im Speisesaal des Hostels, mit heimlich in unsere Trinkflaschen gefülltem Wein und Bier und die Burger am Abend in Jack’s Diner. Sonst passiert nicht viel. Zur allgemeinen leicht depressiven Stimmung an diesem Tag passt auch Jünes Durchhänger. Er kämpft mit Unwohlsein. Unglaublich dass unser Chef tatsächlich auch nochmal ein klein wenig Schwäche auf unserem Trip zeigt. Die menschlichen Züge stehen ihm gut. No offense Jüne.
Und sonst?

Es ist Tag 8 und wir fahren mit dem Busunternehmen Prenner für 48€ pro Person wieder Richtung Deutschland. Die Fahrt dauert etwa 5 Stunden, dann stehen wir am Bahnhof von Oberstdorf. Wir halten es für eine gute Idee, den Kreis zu schließen und im Trettachstüble einzukehren, wo wir schon am ersten Tag getrunken und gespeist hatten. Danach holen wir unseren deutschen Mittelklassekombi ab und kurven über den Asphalt zum Hostel Oberstdorf, das etwas außerhalb von Oberstdorf liegt. Die Übernachtung in dem Hostel haben wir noch eingebaut, weil wir am kommenden Tag auf unserer Heimfahrt noch Zwischenstop in Sonthofen zum Canyoning einlegen wollen. Das Canyoning hatten wir im Vorfeld gebucht und dieses Video zeigt unsere Erlebnisse als Canyoning-Newbies.
 

Der Abschluss unserer Alpenüberquerung (Foto: Christian von Purelements).

 

Als wären wir die letzten Tage noch nicht genug gelaufen, steht am Nachmittag nochmal ein Spaziergang durch die nahegelegene Breitachklamm an. Schon ziemlich imposant die Klamm. Und das Wasser ist und kommt von überall. Deutschland 2017. Regensommer. Also schnell wieder ins Trockene.

Das Hostel ist der Knaller. Sehr modern und bestens ausgestattet. Es ist außerdem gestattet im Speisesaal selbst mitgebrachtes Essen zu verzehren. Na dann. Wir halten eine zünftige Brotzeit mit Käse, Wurst und Wein ab und suchten das Spiel Perlentaucher. Besser geht’s nicht.

Und hier endet nun diese Geschichte von Mut und Männern.